Nachfolge: Die Startup Alternative mit reduziertem Risiko
Die Unternehmensnachfolge ist die Alternative für risikoaverse Firmengründer. Viele Startups scheitern, während es ein wachsendes Angebot an übernahmewürdigen Unternehmen gibt.
Im November fand weltweit die Global Entrepreneurship Week (GEW) statt. Eine Woche lang standen Workshops, Trainings und Vorträge auf allen Kontinenten im Zeichen der Förderung unternehmerischer Initiativen. Doch auch im Rahmen dieser globalen Veranstaltung sind Angebote zur Unternehmensnachfolge zu finden.
Ist die Übernahme eines bestehenden Unternehmens dasselbe wie die Gründung eines neuen? Im Grunde genommen ja – für viele bedeutet es tatsächlich den Einstieg in eine eigene Existenz, jedoch mit einem unterstützenden Impuls.
In Deutschland verzeichnet man jährlich etwa 220.000 Vollerwerbsgründungen1. Bedauerlicherweise scheitern mehr als 30% davon bereits im ersten Jahr. Über einen Zeitraum von fünf Jahren schließen je nach Quelle zwischen 40% und 50% der frisch gegründeten Unternehmen ihre Türen. Mit einer Überlebensrate von etwa 50% ist das Gesundheits- und Sozialwesen die Branche mit den besten Erfolgsaussichten, während andere Sektoren mit geringeren Überlebenschancen konfrontiert sind1,2.
Trotz zahlreicher Initiativen und Förderungen, die auf die Gründung von Startups abzielen, vernichten viele von ihnen Kapital und damit verbundenes Potenzial. Die meisten Innovationen entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sind das Ergebnis jahrelanger inkrementeller Weiterentwicklungen und Erfahrungen. Der deutsche Mittelstand beherbergt zahlreiche Hidden Champions und deren Ökosysteme, deren Fortbestand im volkswirtschaftlichen Interesse gesichert werden muss.
Im Gegensatz dazu schätzt das Institut für Mittelstandsforschung Bonn, dass es zwischen 2022 und 2026 jährlich etwa 140.000 übernahmewürdige Unternehmen gibt, darunter auch rund 38.000 Familienunternehmen im Jahr3. Diese Unternehmen haben sich bereits etabliert und können unter neuer Führung weiterhin erfolgreich am Markt agieren.
Eine von zehn Existenzgründungen könnte stattdessen jährlich ein etabliertes, übernahmewürdiges Unternehmen erwerben, was das Risiko zu scheitern erheblich reduzieren würde. Natürlich steht nicht für jeden Gründer zu jeder Zeit das passende Nachfolgeunternehmen zur Verfügung. Doch die Motivation, ein Unternehmen zu führen, kann vielfältig sein: sei es aus intrinsischer Motivation, dem Wunsch, etwas Innovatives oder Nachhaltiges zu hinterlassen, oder schlicht aus ökonomischen Gründen, um ein besonders hohes persönliches Einkommen zu erzielen4.
Gründer sollten die Vor- und Nachteile von Startups im Vergleich zu Unternehmensnachfolgen sorgfältig abwägen. Aus der Sicht der Käufer sind insbesondere folgende fünf Aspekte relevant:
1. Fachkräfte
Der Fachkräftemangel stellt eine der größten Herausforderungen für Unternehmensführer dar. Etwa 50% der deutschen Unternehmen sehen darin eine Bedrohung für ihre Geschäftsentwicklung5. Bei der Einstellung von Mitarbeitern neigen Startups dazu, weniger erfahrene und billigere Arbeitskräfte einzusetzen, die allerdings meist weniger effizient arbeiten. Etablierte Unternehmen haben die Möglichkeit, durch ihre Erfahrung und Kontinuität als attraktive Arbeitgeber zu punkten und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken6.
Bei einer Unternehmensnachfolge bleiben in der Regel die meisten Mitarbeiter im Unternehmen. Auch wenn einige Mitarbeiter nach einem Eigentümerwechsel ausscheiden, kann der Geschäftsbetrieb weitergeführt werden. In vielen Fällen werden Alteigentümer verpflichtet, ihr Fachwissen während einer Übergangsperiode zu übertragen.
2. Struktur und etablierte Prozesse
Ein Nachfolgeunternehmen war bis zu Eigentumsübergang in der Regel stabil in Bezug auf Struktur, Mitarbeiter, Marktpositionierung und Produkte. Das bedeutet nicht, dass es nicht optimiert werden kann, sondern dass die Grundlagen gefestigt sind. Im Gegensatz dazu sind Startups oft fragil und müssen schnell und effizient handeln, um am Markt erfolgreich zu sein
Etablierte Prozesse, das Wissen über den Markt und die Erfahrungen aus Misserfolgen setzen ein Nachfolgeunternehmen von einem Startup ab. Während im Startup eine „Fail-Forward“-Mentalität herrschen sollte, um schnell mit minimalen Schäden auf dem Markt Fuß zu fassen, sind bei einer Unternehmensnachfolge agile Steuerungsmethoden wichtig, aber weniger „überlebenswichtig“. Nach einer Übernahme wird empfohlen, nicht sofort zahlreiche Veränderungen vorzunehmen, damit der Betrieb profitabel weiterlaufen kann. Erst wenn ausreichend Wissen übertragen wurde, können größere Veränderungen wie umfassende Digitalisierungsmaßnahmen angegangen werden.
3. Vorhandene Lieferanten- und Kundenbeziehungen
Bei einem Share Deal werden alle Geschäftsbeziehungen übernommen. Der Eigentümerwechsel bleibt oft unbemerkt, solange er nicht aktiv kommuniziert wird. Insbesondere während der Pandemie erwiesen sich robuste Lieferkanäle als essenziell. Wer den ersten Referenzkunden eines Startups gewonnen hat, weiß, wieviel Kosten und Herzblut im Aufbau von Kundenstrukturen stecken und wie lange so etwas dauern kann.
Bei einer Unternehmensnachfolge wurden diese Arbeiten bereits erledigt, und Markteintrittsbarrieren wurden erfolgreich implementiert. Der Fokus kann auf der Bindung bestehender Kunden liegen, während die Eroberung neuer Kunden oder Branchen oft einfacher ist, wenn auf ein bestehendes Geschäft verwiesen werden kann.
4. Reduziertes Risiko und Nachhaltigkeit
Ein erheblicher Teil der Startups überlebt nicht länger als 12 bis 60 Monate. Nachfolgeunternehmen sind in der Regel älter als fünf Jahre, und aus den Unternehmenszahlen und Markterfolgen lässt sich klar erkennen, wie erfolgreich sie bisher waren. Es existiert bereits ein Proof of Concept, das kontinuierlich weitergeführt werden muss.
Wenn eine Nachfolge systematisch angegangen wird, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen weiterhin erfolgreich besteht. In den meisten Fällen ist der Cash Flow ab Tag eins positiv. Veränderungen im makroökonomischen Umfeld können zwar einen Einfluss auf das Unternehmen haben, aber wenn sich der Markt positiv entwickelt, hat ein etabliertes Unternehmen wenig zu befürchten. Auf der anderen Seite ist die Möglichkeit, aus einem Nachfolgeunternehmen ein „Einhorn“ zu machen, deutlich geringer. Hier gilt der Grundsatz: weniger Risiko, aber auch weniger potenzieller Ertrag. Der nächste Elon Musk wird wahrscheinlich kein Nachfolger sein.
5. Größeres Angebot am Markt
Aufgrund des demografischen Wandels werden in den nächsten Jahren viele Firmeninhaber der Baby-Boomer-Generation (geboren in den 50er/60er Jahren) in den Ruhestand gehen wollen oder müssen. Dies führt zu einem höheren Angebot an Firmen, die eine Nachfolge suchen. Mehr Unternehmen, die einen Nachfolger suchen, bedeuten eine größere Auswahl und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, einen passenden und auch günstigen Einstieg zu finden. Eine unvoreingenommene Sicht auf bestehende Strukturen kann mittelfristig einen Wettbewerbsvorteil durch Digitalisierung oder Fokussierung auf Nachhaltigkeit schaffen. Kleine Änderungen können große Wirkung erzielen, auch ohne bedeutende Innovationen.
Von Seiten des Verkäufers lassen sich drei Hauptsegmente identifizieren, die je nach Unternehmensgröße als Zielgruppen fungieren. Finanzinvestoren sind zahlengetrieben und streben nach höheren Transaktionsvolumina. Der Kontakt mit ihnen ist professionell und am Verhandlungstisch wenig emotional. Das Risiko von Zahlungs- oder Personalausfällen ist gering.
Strategische Investoren suchen in der Regel nach Synergien im Geschäftsmodell, um das Kerngeschäft zu stärken oder die Wertschöpfungskette zu erweitern. Die Identifikation mit den Produkten und Dienstleistungen ist hoch, da sie in die eigene Landschaft integriert werden sollen.
Management-Buy-In (MBI) Kandidaten haben eine Obergrenze durch begrenztes Eigenkapital, was jedoch durch verschiedene Finanzierungsmethoden flexibilisiert werden kann. Banken finanzieren gerne ein bereits erprobtes Geschäftsmodell. Insbesondere bei kleineren Unternehmen sind MBIs attraktiv.
Die Kontaktaufnahme und Ansprache der verschiedenen Zielgruppen erfordert spezifische Maßnahmen, die zum Teil besonders effektiv über eine Unternehmensbörse erfolgen können. Es ist jedoch unerlässlich, persönliche Kontakte zu knüpfen und ein umfangreiches Netzwerk an Investoren und Regionalpartnern zu pflegen.
Ob Neugründung oder Unternehmensnachfolge – das Unternehmertum ist stets mit Risiken und Verantwortung verbunden. Die Unternehmensnachfolge birgt in den meisten Fällen ein geringeres Risiko bei kontinuierlichen Gewinnen im Vergleich zu sprunghaften Erfolgen.
Das Risiko des Scheiterns wird erheblich reduziert, wenn das richtige Unternehmen für eine Nachfolge gefunden wird. Für nachhaltigeren Erfolg werden wir in den nächsten Jahren verstärkt sehen:
„Nachfolgen ist das neue Gründen“.
Fußnoten
1 KfW Gründungsmonitor 2023 https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Gr%C3%BCndungsmonitor/KfW-Gr%C3%BCndungsmonitor-2023.pdf
2 IfM Bonn 2023 (Zahlen bis 2020) https://www.ifm-bonn.org/statistiken/gruendungen-und-unternehmensschliessungen/ueberlebensrate-von-unternehmen
3 IfM Bonn 2023 https://www.ifm-bonn.org/statistiken/unternehmensuebertragungen-und-nachfolgen/unternehmensuebertragungen#658
4 Global Entrepreneurship Monitor 2022/2023 Global Report, pp. 64, 136 https://www.gemconsortium.org/file/open?fileId=51147
5 Fachkräfte für Deutschland https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/fachkraeftesicherung.html
6 Icks, A.; Kranzusch, P.; Schneck, S.; Große, J. (2016): Attraktivität junger Unternehmen für Fachkräfte, IfM Bonn: IfM-Materialien Nr. 245, Bonn. Attraktivität junger Unternehmen für Fachkräfte – Institut für Mittelstandsforschung Bonn (ifm-bonn.org)
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Christian Winter
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